Müll im Meer
Die Verschmutzung der Meere durch Müll wird neben anderen Schlüsselthemen als eines der wichtigsten globalen Umweltprobleme unserer Zeit angesehen. Müll im Meer umfasst alle langlebigen, gefertigten oder verarbeiteten beständigen Materialien, die durch Wegwerfen oder als herrenloses Gut in die Meeresumwelt gelangen. Dabei mit inbegriffen ist auch der Transport und der Eintrag über Flüsse, Kanäle, Einleitungen sowie über Winde/Luft in die Meere. Neben Materialien wie Gummi, Metalle, Stoffe/Textilien, Glas, Holz oder Papier sind Kunststoffe das am häufigsten gefundene Material mit einem Anteil von > 75 %. Kunststoffe sind zu einem Ausdruck unserer Wegwerfgesellschaft geworden – sie lassen sich leicht und schnell industriell produzieren und verarbeiten und werden oft billig oder gar kostenlos abgegeben. Neuste Studien schätzen, dass global zwischen 1,8 % und 4,6 % des in 192 Küstenstaaten produzierten Kunststoffmülls als Müll in die Meere gelangt, was sich 2010 auf ca. 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen belief. Die Gründe hierfür sind vielfältig und variabel: schlechtes bzw. unzureichendes Abfallmanagement insbesondere im südostasiatischen Raum sowie in Schwellen- und Entwicklungsländern; geringe Verwertungsquoten insbesondere in Ländern ohne Deponierungsverbot (auch in vielen europäischen Mitgliedsstaaten); hohe Produktionsraten; intensiver Plastikkonsum; fehlende Produzentenverantwortung in verschiedenen Ländern; fehlende Umweltbildung; ein geringes Problembewusstsein für die Folgen von achtloser Entsorgung von Abfällen in der Umwelt (Littering); ein kurzer Lebenszyklus vieler Produkte und die Langlebigkeit des Kunststoffmaterials.
Neben großteiligen Abfällen wie Plastikflaschen oder Plastiktüten bekommt auch das sogenannte Mikroplastik (Plastikpartikel < 5 mm) eine immer größere Umweltrelevanz und wird in zunehmenden Maße nicht nur in der Meeresumwelt sondern auch in Meeresorganismen nachgewiesen. Hierbei handelt es sich um kleinste Partikel aus Kunststoff, die landläufig und im weiteren Bericht als Mikroplastik bezeichnet werden. Sogenanntes sekundäres Mikroplastik entsteht durch die Fragmentierung größerer Plastikteile und während der Verwendung von Produkten (z.B. in Form von Kunstfasern durch das Waschen von Textilprodukten, als Abrieb von Schuhsohlen und Autoreifen und die Verwitterung von Fassaden- oder Schiffsfarben). Das sogenannte primäre Mikroplastik wird Produkten gezielt in mikronisierter Form beigegeben (z.B. Kosmetik- und Hygieneprodukten und Strahlmitteln) oder gelangt durch Leckagen/Unfälle in die Umwelt. Damit handelt es sich nicht im originären Sinne um Müll, wird aber im Kontext von Meeresmüll mit betrachtet.
Durch die Langlebigkeit und die sehr langsame Dekompositionsrate von Kunststoffen kann es Jahrhunderte dauern, bis das Material durch physikalische, chemische und biologische Prozesse in den Meeren zerkleinert wird. Wie lange Kunststoffe wirklich in der Umwelt verweilen, ist nicht bekannt. Durch physikalische Gegebenheiten wie Wind, Wellen und Strömungen kann Müll im Meer über weite Distanzen vom Eintragsort hinweg transportiert und verbreitet werden, ist mittlerweile in allen aquatischen Lebensräumen gegenwärtig und über das gesamte marine Nahrungsnetz verbreitet, selbst fernab von besiedelten Gebieten wie z.B. auf unbewohnten Inseln in den Polarregionen und im Arktischen Eis. Der Müll akkumuliert in den großen Meereswirbeln, die infolge von Erdrotation und anderer ozeanographischer Prozesse in allen großen Ozeanen vorhanden sind.
Eine globale Schätzung geht von insgesamt 5,25 Trillionen Partikeln mit einem Gewicht von ca. 270.000 Tonnen aus, die an der Wasseroberfläche treiben. Das erscheint auf den ersten Blick wenig, hier sind jedoch weder die Müllmengen enthalten, die sich in der Wassersäule oder auf dem Meeresboden befinden, noch solche, die an Stränden angespült werden oder von Meereslebewesen aufgenommen werden. Man geht davon aus, dass rund 15 % des Mülls an der Wasseroberfläche treiben, ungefähr 15 % an die Küsten gespült werden und ca. 70 % in der Wassersäule verteilt sind oder auf den Meeresboden sinken.
Quellen und Auswirkungen von Meeresmüll
Die Identifizierung von Quellen ist relevant, um effiziente Vermeidungs- und Reduzierungsmaßnahmen ableiten zu können. Global gesehen stammt Meeresmüll zu einem Großteil aus landbasierten und der Rest aus seebasierten Quellen. Jedoch variieren die Quellen je nach geographischer Lage und die Müllmenge sowie die Müllzusammensetzung werden z.B. durch städtische und industrielle Gebiete, Häfen, Schifffahrtsstraßen oder Fischereigebiete beeinflusst. Im Nordost-Atlantik sind landseitige Aktivitäten (Freizeit- und Tourismusaktivitäten) und seeseitigen Aktivitäten (im Wesentlichen die Fischerei inklusive Aquakulturanlagen im Meer (Marikultur) sowie die kommerzielle Schifffahrt, aber auch z.B. aus dem Freizeitbootverkehr und Offshore-Installationen) jeweils für 40 % der Mülleinträge verantwortlich. Die restlichen Einträge bestehen aus kommunalen Abfällen, die vor allem durch das achtlose Wegwerfen von Abfällen im öffentlichen Raum durch Flüsse und Kanäle sowie über Industrie- und Kläranlagen und Niederschlagseinleitungen entlang der Küsten in die Meere gelangen. Auch wenn es moderne und hocheffiziente Abwasserreinigungssysteme und Kläranlagen gibt, kann nicht alles Plastik zurückgehalten werden und kleinste Partikel (z.B. Mikroplastik) gelangen über die Wasserwege in unsere Meere. In der Ostsee und im Mittelmeer dominieren landseitige Quellen, Einträge finden hier hauptsächlich aus Haushalten und Freizeit- und Tourismusaktivitäten statt (81%), hinsichtlich der seebasierten Quellen tragen die die Fischerei zu 3% und die Schifffahrt zu 5% bei.
Circa 10 Prozent des in die Meere eingetragenen Mülls lässt sich auf im Meer verloren gegangene oder dort belassene Fischereigeräte zurückführen. In der Ostsee ging der WWF von einem Verlust von 5.500 bis 10.000 Stellnetzteile allein im Jahr 2011 aus. Untersuchungen lassen darauf schließen, dass die verbleibende Fischereikapazität herrenloser Netze bei 6-20 % liegt. Die sogenannten Geisternetze stellen über Jahrzehnte hinweg eine tödliche Gefahr insbesondere für Meeressäuger, Seevögel und Fische dar. Zwar sinken die meisten Netze auf den Meeresgrund, können da aber aufgerichtet bleiben und dort für teilweise lange Zeiträume weiter „fischen“.
Vor allem Verpackungsmaterialien und ring- oder schnurartige Müllteile sowie Netzreste, Leinen und Taue bergen ein hohes Gefährdungspotential für marine Lebewesen. Eine aktuelle Literaturauswertung hat ergeben, dass mittlerweile weltweit 817 verschiedene marine Arten vom Müll in irgendeiner Weise negativ beeinträchtigt sind, das Gros der Interaktionen lässt sich dabei mit Plastikmüll assoziieren. Circa 17 % dieser Arten stehen auf der Roten Liste oder sind bereits als bedroht oder gefährdet eingestuft. Für 54 der 120 Arten mariner Säugetiere, die auf der Roten Liste der IUCN geführt werden, ist die Aufnahme von und die Verstrickung in Meeresmüll dokumentiert. Alle Arten von Meeresschildkröten und viele Seevogelarten sowie immer mehr Arten von Fischen und Invertebraten sind betroffen.
Verstrickungen oder/und Strangulieren von Meerestieren ist die direkteste und sichtbarste Folge und kann aufgrund von äußeren Verletzungen oder direkter Todesfolge einfacher dokumentiert werden als das Verschlucken von Müllteilen. Negative Auswirkungen umfassen: Ersticken, Ertrinken, Verletzungen der Haut, des Gewebes und der Muskeln, Verhaltensänderungen wie z.B. eingeschränkte Fähigkeit zur Flucht vor Fressfeinden und/oder Futtersuche, was schlussendlich Verhungern zur Folge hat. Die Folgen der Aufnahme von Kunststoffteilen/-partikeln sind weniger offensichtlich, dennoch wurden in zahlreichen Meerestieren wie Invertebraten, Fische, Krebstieren, Seevögeln, Reptilien und marinen Säugern Kunststoffteile im Magen und/oder Verdauungstrakt nachgewiesen. Die Folgen sind u.a. Verhungern infolge ständigen Sättigungsgefühls mit vollem Magen, geringe Körperfetteinlagerung sowie Verletzungen, Verstopfungen und Entzündungen des Magen-Darm-Traktes. Auch wenn der Tod keine unmittelbare Folge sein muss, sind die Tiere in ihrem Verhalten und ihrer biologischen Fitness negativ beeinflusst.
Weitere Risiken sind: die Aufnahme und Anreicherung von chemischen Substanzen; Kunststoffe enthalten oft chemische Additive und zudem wird kleinen Partikeln eine Vektoreigenschaft zugesprochen, wonach diese chemischen Substanzen (z.B. Persistente Organische Schadstoffe (Persistent Organic Pollutants - POPs)) aus dem Wasser adsorbieren. Durch das Verschlucken von Kunstoffteilen (insbesondere Mikroplastik) kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Stoffe in der Nahrungskette anreichern. Des Weiteren kann Müll als Vektor für nicht-einheimische Arten fungieren. Eine Studie zeigte, dass 387 Arten (Mikroorganismen, Algen/Tang, Invertebraten) mit dem auf dem Wasser treibenden Müll reisten. Auch hier sind Kunststoffe das dominierende Material. Außerdem kann Müll zu Veränderungen von Lebensgemeinschaften z.B. durch das Bedecken von Habitaten, oder zur Kolonisierung neuer Habitate durch gebiets- bzw. standortfremde Arten über die Einführung eines Substrats beitragen oder schlicht Habitate beschädigen.
Neben ökologischen Effekten hat Müll im Meer auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Dazu gehören hohe Kosten und reduzierte Ökosystemleistungen, von dessen Folgen verschiedene Sektoren betroffen sind: die Fischerei und Aquakultur, z.B. durch kontaminierte Fänge oder beschädigte Fischereigeräte, Schäden an Fischereifahrzeugen, geringerer Verdienst und verlorene Zeit für das Fischen; die Schifffahrt durch Unfälle und Schäden an den Booten (z.B. durch das Blockieren von Schiffsschrauben) sowie Kosten der Seenotretter; Tourismus/Küstenkommunen, z.B. durch hohe Kosten der Strand- und Küstensäuberung und Entsorgung, negative Reklame wegen Verunreinigung und dadurch reduzierte Einnahmen.
Meeresmüll in der Nord- und Ostsee
Die hier dargestellten Zahlen und Fakten zur Belastung der deutschen Strände von Nord- und Ostsee mit Meeresmüll stammen aus regulären Monitoringaktivitäten, die durch verschiedene, oft ehrenamtliche Strukturen und Institutionen durchgeführt und durch die Länder koordiniert werden (Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein für die Nordsee, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern für die Ostsee). Die nationale Überwachung von Müll am Meeresboden findet durch das Thünen-Institut statt. Weitere Daten und Informationen wurden über UBA/BMUB-Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mittels Pilotmonitoring von Meeresmüll in verschiedenen marinen Kompartimenten und Biota generiert. Detaillierte Angaben zu Monitoringaktivitäten sind unter www.meeresschutz.info einzusehen.
Die Strände der deutschen Nordseeküste weisen eine durchschnittliche jährliche Belastung von 389 Makromüllteilen (< 2,5 cm) pro 100 Meter Küstenlinie auf (2009-2014). An den Ostseestränden finden sich durchschnittlich 70 Müllteile auf 100 Meter (2011-2015). Die Funde sind dabei sehr heterogen verteilt, beispielsweise auf Rügen (Mukran) wurden durchschnittlich bis zu 404 Teile auf 100 Meter festgestellt. An den Stränden beider Meere dominieren Kunststoffe mit circa 89 % die Funde an der Nordsee und circa 69 % die Funde an der Ostsee. Müll am Meeresboden, der ebenfalls größtenteils aus Kunststoffen besteht, ist weit verbreitet. In der südlichen Nordsee konnten durchschnittlich 11 Kilogramm Müll pro Quadratkilometer ermittelt werden.
Hinsichtlich des Vorkommens von Mikromüll (kleiner als 5 Millimeter) weisen erste Erfassungen in der Nordsee darauf hin, das Mikroplastik in allen Kompartimenten (Strand, Wasseroberfläche, Wassersäule und im Meeresboden) anzutreffen ist. Die Befunde lassen momentan jedoch noch keine abschließende Aussage zu. In der Ostsee legen erste Untersuchungen zu Mikromüll eine weite Verbreitung von Mikroplastikpartikeln nahe. Teile der Mikro- (kleiner als 5 Millimeter) und Mesofraktion (5-25 Millimeter) finden sich hier zehnmal häufiger als Makromüll am Strand.
Eissturmvögel gelten in der Nordsee als Indikatorart für die Aufnahme von Plastikpartikeln auf der Meeresoberfläche: 94 % der an Stränden der deutschen Nordsee tot aufgefundenen Eissturmvögel haben Kunststoffe im Magen, 62 % davon mehr als 0,1 Gramm (2010-2015). Damit wird das ökologische Qualitätsziel, welches unter dem Meeresschutzübereinkommen für den Nordostatlantik (OSPAR) entwickelt wurde und vorsieht, dass maximal 10 % der Vögel nicht mehr als 0,1 Gramm im Magen aufweisen sollen, weit verfehlt. Das Pilotmonitoring in der Seevogelkolonie auf Helgoland hat ergeben, dass 97 % der Nester Kunststoffe enthalten, vor allem Netzreste, Leinen und Schnüre, aber auch Taue und Verpackungen. Die Sterblichkeit der Basstölpel als Folge von daraus resultierender Verstrickung und Strangulierung in Müllteilen lag in den Jahren 2014 und 2015 2-5mal höher gewöhnlich. Innerhalb des Pilotmonitorings wurden weiterhin Plastikpartikel in den Magen- und Darmtrakten von 258 im Freiwasser und 132 am Meeresboden lebenden Fischen in Nord- und Ostsee (Heringe, Sprotten, Flundern, Klieschen und Schollen) untersucht. In 69 % der Fischproben wurde Mikroplastik kleiner als 1 Millimeter nachgewiesen.